Warum ich als Dritter und nicht als Zwitter auf die CeBIT fahre
Oder wie nennt man es, wenn man drei in einem ist? Meine Rollen: PR-Berater und Agenturleiter bei vibrio, Blogger (sogar Ironblogger) und immer noch überzeugter Journalist. Und warum reicht es nicht, einer zu sein? Ich glaube nicht, dass diese Fixierung auf das, was man mal gelernt hat oder geworden ist, in dieser Zeit noch zukunftsträchtig ist. Sicher, den Wandel gab es immer schon. Aber die Veränderungen durch das Internet, die in besonderem Maße die Kommunikationsbranche betreffen, verlangen von einem, ständig am Ball zu bleiben – Medien, Kommunikationstechnologien und ihr Nutzungsverhalten haben sich noch nie mit dieser Geschwindigkeit geändert. Sie verlangen es, mehrfach pro Generation, altbekannte Muster und Rituale zu hinterfragen und durch neue Ideen, die mit neuen Technologien umgesetzt werden können, zu ergänzen. Wahrscheinlich werden die meisten sogar langfristig ersetzt werden oder zumindest in ein völlig neues Nutzungsverhalten übergehen.
Wie sagte die langjährige Vorsitzende des Bayerischen Journalistenverbandes, Frauke Anker, in ihrer Vorlesung im vierten Semester meines Journalistik-Studiums 1992:
„Es kann halt nicht jeder Korrespondent für Die Zeit in Rom oder Paris werden.“
Und dabei wusste sie damals wahrscheinlich noch gar nicht, wie recht sie einmal haben wird. Sicherlich: aus meinem Studienjahr bzw. meiner Clique ist keiner so richtig Arbeitslos geworden. Aber alle spüren den Wandel – weniger Leser, sprunghaftere Zuschauer, (viel) mehr Beschäftigung mit Technik. Und über allem schwebt das Damoklesschwert des Internet. Keiner der Auguren, die ich gehört und gelesen habe, hat eine belastbare, nachvollziehbare Idee, was aus den Medien für die wir nach dem Studium arbeiten wollten – Zeitung, Zeitschrift, Radio und Fernsehen – werden wird. Ins Internet wollte damals keiner von uns, weil das gab es noch nicht. Nun führt aber kein Weg mehr daran vorbei, für keinen.
Hört man den leitenden Journalisten der führenden Medien-Online-Portale (wie heißen die überhaupt richtig?) zu und hinterfragt deren Konzepte, so kommt nach der dritten Nachfrage spätestens das „wir probieren halt aus, was funktioniert“. Die Konkurrenz ist nur einen Mausklick weg und erfordert nicht mehr den Gang zum Zeitungskiosk – der Quotendruck, den es beim Fernsehen ja spätestens mit der Einführung des Privatfernsehen (oder vorher der Fernbedienung) gab, gilt nun für alle Medien. Und noch schlimmer, die Konkurrenz ist kleinteilig und zersplittert, so dass die etablierten Medienkonzerne sich mit den üblichen Strukturen nicht mehr wehren können. Fernsehkonzerne gegen YouTube-Filmer, Verlagshäuser gegen Blogger – da ist der David so klein, dass der Goliath nicht mal weiß, wo er ansetzen soll und dennoch spürt er die Konkurrenz. Konzepte, die Blogger einbinden gibt es – wie wirtschaftlich und redaktionell relevant Angebote etwa von der deutschen Huffington Post sind oder werden, bleibt abzuwarten. Blog-Plattformen, die einige Verlagshäuser in ihre Angebote integriert haben, wie etwa auf faz.net, führen leider ein Schattendasein und wirken demzufolge oft ungepflegt (Don Alphonso als Eigenmarke im Umfeld der FAZ ist ein typischer Sonderfall, wie in das Internet möglich macht). Umgekehrt wirken selbst die großen deutschen Medienhäuser oft wie unbeholfene Davids, wenn sie sich gegen die Internet-Konzerne aus den USA zu wehren glauben können – siehe Leistungsschutzrecht.
Warum ich mehr Standbeine brauche
Dies ist so im Groben die Situation, wie ich sie in der Kommunikationsbranche, damit meine ich Medien und ihre Macher – von Journalisten, über Verlags- und Rundfunk-Manager, bis zu PR-Agenturen – sehe. Und damit ich für die Zukunft relevant bleibe, d.h., mir mein Auskommen und meinen Lebensstandard sichere, reichen mir zwei Standbeine nicht mehr – es müssen wohl drei (und vielleicht noch mehr) sein:
Journalismus bleibt offenbar wichtig, es wird aber zunehmend fraglich, ob und wie lange er sich noch finanzieren kann – das gilt insbesondere für aufwändigen Qualitätsjournalismus (RTL finanziert ja angeblich heute schon Teile seines Angebots nicht mehr über Werbung, sondern über Anrufkosten für Abstimmungen und Gewinnspiele.) Auch für die sozialen Medien gelten traditionelle Medien nach wie vor als glaubwürdige Quellen und Belege für die Wahrheit und Richtigkeit von Meldungen.
Ein Beispiel dafür, dass „Journalist sein“ Reputation bedeutet
Ein 17-jähriger, der sich als über 40-jähriger Journalist ausgibt, narrt die Fußballwelt. Hier zwei Fragen und Antworten aus dem zweiseitigen Interview im Magazin 11 Freunde:
Was haben Sie aus dieser Geschichte gelernt?
Dass sich tatsächlich niemand für die Tweets eines 17-jährigen Schülers interessiert. Aber wenn man ein 40-jähriger Sportjournalist ist, sieht die Sache anders aus. Egal, ob die Nachrichten stimmen oder nicht. Das ist schon verrückt und macht mich nachdenklich.Samuel Gardiner, derzeit sind Sie Schüler. Was ist Ihr Traumberuf?
Ich würde furchtbar gerne Sportjournalist werden.
Auch die Wikipedia und Facebook setzen sogar vermehrt auf klassische Medienangebote als Quellen für ihre Nutzer. Wikipedia verlangt als Belege für die Aufnahme von neuen Stichworten auch traditionelle Medien als Quellen – sie gelten auch bei den Wikipedianern offenbar als glaubwürdige und abgesicherte Quellen im Gegensatz zu Blogs oder anderen Online-Angeboten. Und auch Facebook hat erkannt, dass vielen Nutzern der Stream aus Cat Content und Gewinnspielen offenbar zu wenig ist und baut nun Nachrichten von klassischen Medien ein.
Doch beide Nutznießer von traditionellen Medienangeboten tragen nichts dazu bei, diese zu finanzieren. Bei Wikipedia mag man das noch durchgehen lassen, so als Unterstützung für die kostenlose Enzyklopädie. Facebook ist aber ganz klar ein gewinnorientiertes Unternehmen und profitiert hier von den Investitionen anderer (apropos, wie setzen den die Verlage hier ihr LSR durch?). Natürlich tragen beide Nutzungsarten dazu bei, die Marke und das Angebot des Mediums bekannter zu machen – doch ob das zu nennenswerten Mehreinnahmen führt, wage ich sehr zu bezweifeln. Zumal davon auszugehen ist, dass Facebook auch auf die Idee kommt, diesen „Service“ für die Medien sich irgendwann von diesen finanzieren zu lassen.
Möglicherweise geht die Tendenz dahin, dass Journalismus zukünftig wieder und mehr querfinanziert werden muss. Das heißt, nicht mehr das journalistische Produkt finanziert sich über Verkäufe und Werbeeinahmen selbst, sondern die Muttergesellschaft finanziert das journalistische Produkt aus Einnahmen in ganz anderen Wirtschaftszweigen. Kürzlich las ich einen Blogpost, der diese Entwicklung bei der Zeit beschreibt. Hier wird offenbar sogar bewusst die starke Medienmarke dafür genutzt, darum herum zusätzliche Einnahmen zu generieren, die vor dem Hintergrund des Markenkerns besonders erfolgreich sind, Zitat aus dem Post:
Die Herausforderung des Medienwandels besteht zwar darin neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Aber das Geschäftsmodell ist der zweite Schritt. Zuerst die Frage im Raum: Wer sind wir? Diese Frage hat die ZEIT Verlagsgruppe für sich beantwortet. Und genau deswegen ist sie so erfolgreich.
Im Zuge der Veröffentlichungen der Finanzergebnisse des Axel Springer Verlags vor wenigen Tagen war das Wehklagen wieder groß, als sich erneut bestätigte, dass der Konzern mit Journalismusfernen Produkten mehr Geld verdient als mit den Verlagsangeboten. Zitat aus dem FAZ-Artikel:
Der Axel Springer Verlag verwandelt sich in einen Gemischtwarenladen. Echten Journalismus hat der erfolgreiche Konzern aber kaum noch im Sortiment.
Das war unter Axel Springer aber anders, hieß es – da kann man nur Antworten: damals konnte man auch mit Journalismus noch Geld verdienen.
Journalismus fremdfinanziert – warum nicht?
Und nun frage ich mich: Warum nicht über gewinnträchtige Angebote den Journalismus querfinanzieren, quasi Mäzenatentum – was ist daran falsch? Puristen werden sagen, weil es den Redaktionen an der Kritikfähigkeit gegenüber dem eigenen Konzern fehlen wird. Ein Argument, das zugegebenermaßen nicht von der Hand zu weisen ist – und sei es nur die Schere im Kopf der Journalisten, die es verhindert konzerneigene Unternehmen kritisch unter die Lupe zu nehmen.
Verlage wie Axel Springer oder Medienmarken wie Die Zeit tun sich mit Quer- oder Andersfinanzierung verhältnismäßig leicht. Im Fachjournalismus, wenn es also noch spezieller als bei Computer Bild wird, dagegen fehlen die finanziellen Polster und die kommerziellen Alternativen für Verlage meistens. Man versucht sich in Branchenevents, verkauft Direkt-Marketing-Kampagnen aus dem eigenen Abonenntenbestand und dient sich als Medien-„Partner“ an. Letztendlich bleibt man aber in der aussichtslosen Konkurrenz zum Internet. Und zusätzlich, hier kannibalisiert sich das Marketing selbst, in Konkurrenz zu Unternehmen, die all das aus sich heraus selbst, und oft auf einer deutlich besseren wirtschaftlichen Basis auch können. Noch gibt es einige Branchen in denen Fachzeitschriftenjournalismus hervorragend funktioniert, aber schneller als den meisten Verlagsleitern und Chefredakteuren lieb ist, wird sich das auch dort ändern.
Spirale abwärts: weniger Qualität, weniger Leser, weniger Anzeigen und so weiter
Ich erkenne hier derzeit eine Abwärtsspirale in der die journalistische Qualität, wenn man davon noch sprechen will, oder zumindest das journalistische Angebot bis fast zur Unkenntlichkeit gekürzt wird – indem immer weniger branchenerfahrene Redakteure und immer mehr „Volontäre“ in der Redaktion sitzen und die Artikel sowieso alle über „budget-gestützte Redaktion“, „Druckkostenzuschuss“ oder andere „Chefarztbehandlung“ ins Medium gekommen sind. In der Folge verlieren diese journalistischen Produkte den letzten Rest an Glaubwürdigkeit, was sie noch unattraktiver für Anzeigenkunden macht und für Leser noch leichter ersetzbar mit den vielfältigen Alternativen im Internet. (Über die Online-Auftritte soll hier ein Mantel des Schweigens gebreitet werden, denn sie sind oft die Festplatte nicht wert, auf der sie gespeichert sind.)
Resignation, aufgeben, etwas anderes als „mit Medien“ machen? Eine mögliche Antwort darauf bietet vielleicht der Chefredakteur von Zeit Online Jochen Wegener, der bei einem Auftritt kürzlich in München folgende These zu Diskussion stellte:
„Vielleicht hat sich der Journalismus wie wir ihn kennen überlebt?“
Auch dazu gibt es zahlreiche Beispiele. Von Unternehmen finanzierte, redaktionelle Beiträge, die journalistisch aufbereitet, eingebettet in das Medium sind. „Native Advertising“ heißt diese Welle, die nun in Folge des Content Marketings über uns schwappt. Da mag man einwenden „Advertorials“, so der deutsche Ausdruck, würde es doch schon lange geben. Das ist richtig, jedoch soll Native Advertising sich noch intelligenter in das unabhängige Umfeld des Mediums einpassen und mehr journalistische, als werbliche Qualität haben. Unternehmen bestimmen also was geschrieben wird, aber weniger wie es geschrieben wird.
Die maximale Ausprägung davon ist, wenn Unternehmen ihr eigenes Medium werden – exemplarisch vorgeführt von Red Bull mit einer eigenen Zeitschrift und einem eigenen Fernsehsender – kritischer Journalismus? Dann wohl eher Fehlanzeige; hier werden wir auf die oben beschriebenen Cross-finanzierten Mäzenen gesponsorten Medien hoffen müssen. Oder darauf, dass sich die öffentlich-rechtlichen Kanäle endlich wieder auf ihren eigentlichen Auftrag zurückbesinnen und nicht ihre Funktionäre aus lauter Eitelkeit verzweifelt das Privatfernsehen kopieren (von der teuren Versorgungsmentalität in diesen Anstalten ganz zu schweigen).
Journalistische Köpfe nicht in den Sand, sondern hoch
Das heißt aber, es geht weiter, denn „mit Medien“ lässt sich immer etwas machen. Ich bin der Meinung, dass journalistische Kompetenz noch nie so wertvoll war wie heute (Stichworte: Recherche, Einordnen in Zusammenhänge, Vermittlung komplexer Sachverhalte, mediale Aufbereitung für Zielgruppen, visuelle Umsetzung, Storytelling usw.). Doch hier ist jeder von uns, die etwas „mit Medien“ machen, gefragt, sich selbst weiterzubilden. Auch hier bietet das Internet nie für möglich gehaltene Chancen. Das eigene Medium, hab ich, ist mein Blog, oder mein YouTube Kanal oder beides, vermarktet über Facebook und Twitter. Die Telefoninterviews mach ich im Internet via Skype falls ich bei Google-Recherchen nicht weiterkomme, Filme schneide ich am PC. Die Möglichkeiten sind da, man muss sie nutzen. Zugegeben, da sind Richard Gutjahr und andere auch schon drauf gekommen. Soweit will ich aber gar nicht gehen.
Ich bin oft in mehr als zwei Rollen unterwegs, weil ich Stoff für meinen eigenen Blog sammle, weil ich Stoff für den Blog meines Arbeitgebers sammle, weil ich mit unseren Agenturkunden darüber spreche, wie sie auf dieses veränderten Medienumfeld am besten reagieren können und sie an meinen Erfahrungen teilhaben lasse. Und weil ich mich mit Gleichgesinnten, Onlinern, Journalisten, Technik-affinen und auch Produkt-Managern zum Austausch treffen will. Deshalb bin ich hier in Hannover auf der CeBIT.
PS: Mein Arbeitsplatz der Zukunft liegt übrigens im Internet. Wo sonst?