Facebook – Götterdämmerung?
An diesem Wochenende platzte die Bombe. So der Begriff im Titel der Story, die beschreibt, wie Donald Trump den US-Wahlkampf angeblich mit Hilfe von Big Data, destilliert aus Facebook, gewann. Im Kern geht es darum, das Menschen mit der Auswertung ihrer Shares und Likes psychologisch so vermessen werden können, dass Aussagen darüber möglich sind, wie sie auf Facebook Nachrichten reagieren. Dabei geht es nicht nur darum, Wählerstimmen zu gewinnen, sondern auch darum, Stimmabgaben für die Gegenseite durch gezielte Verunsicherung zu verhindern.
Diese Enthüllung, die eigentlich keine ist, denn die Prinzipien sind jetzt nichts wirklich Neues, trägt erneut dazu bei, meine Zweifel an dem weltweit größten Netzwerk zu verstärken. Die Zweifel begründen sich in der weltweiten Ausdehnung und der unbeschränkten Macht. Wobei sich macht nicht auf die tatsächliche physische Macht bezieht, sondern auf die vielfältigen Einflussmöglichkeiten auf jedes Facebook-Miglied.
Protokoll meines Verhaltens
Der Datensatz mit meinen Beiträgen, Kommentaren, Likes und Shares ist das Eine. Er gehört Facebook und wird von denen unbegrenzt weitergegeben (unabhängig davon, ob ich privat oder öffentlich poste, davon ist auszugehen); vielleicht sogar ohne meinen Namen, aber was nützt das, wenn die Anzeige oder ein Post trotzdem bei mir gezielt platziert werden kann. Jetzt kommen die Schlauberger und sagen: „erkenne ich“ – aber darüber sind wir, glaube ich, hinaus. Es geht nicht mehr um schlecht gezielte (targeted) Werbung, es geht darum, dass ich einen Beitrag eingeblendet bekomme, der subtile Zweifel an meinem Weltbild nährt, mich verunsichert und damit meine Stimme pro oder contra irgendetwas zum Schweigen bringt, weil ich mir selbst nicht mehr sicher bin. Damit hat der Auftraggeber sein Ziel schon erreicht. Wenn ich die sogenannten Psychometriker und ihre Firmen richtig verstehe, ist das selbst mit höchster Medienkompetenz kaum zu erkennen.
Ein Angebot ohne Moral und Rücksicht
Es geht zum zweiten darum, dass Facebook für sich beansprucht, dass sein Standards in punkto Veröffentlichungen auf der ganzen Welt zu gelten haben. (Das rührt im Übrigen nicht nur aus der privaten Organisationsstruktur des Konzerns, sondern ist in allen US-Weltkonzernen so verankert: die Welt ist die USA, der Rest ist nichts oder nur wenig). Dass Nackheit, Verunglimpfung, Mobbing etc. in verschiedenen Kulturen auf der Welt anders gesehen werden und andere Gefühle hervorrufen wird ignoriert. Es gibt keinen moralischen Maßstab außer dem amerikanischen und den des Profits – wer sich die Reaktionen von Facebook auf die netten Versuche deutscher Politiker zur Eindämmung von Hassreden ansieht, wird nur taktische Beschwichtigungen und Verzögerungsmanöver finden. Wenn allerdings die Polizei kommt, ist Facebook schnell bereit, zu handeln. Schließlich möchte man sich sein Geschäftsmodell ja nicht zerstören, weil man womöglich Ärger mit dem Gesetz bekommt.
Das tragische ist, gleiches gilt für alle Länder – der Weltrettungsanspruch wird gegenüber dem Profit ganz schnell hintenangestellt, wenn große Märkte locken, wie etwa China. Dann heißt es wieder „wir sind ganz unpolitisch, wir wollen nur Menschen verbinden“. Und im Zweifelsfall, so darf vermutet werden, bekommen die staatlichen Behörden eine Hintertüre, um unliebsame Beiträge oder gar Mitglieder zu verhindern.
Großer Einfluss kleingeredet
Und das ist derzeit eigentlich meine größte Kritik: die Weigerung anzuerkennen, dass Facebook, wie übrigens auch Google und wahrscheinlich auch Amazon, mittlerweile Akteure geworden sind, die Gesellschaften beeinflussen, wie es bisher kaum möglich war. Dafür gehen sie aber jeder Debatte über ihre Wirkung, abseits von Vernetzung, Suche und Einkauf hinaus, aus dem Weg. Es sind Unternehmen, die sich von moralischen Standards fernhalten; ja fern halten müssen, um ihre Geschäfte machen zu können. Dafür verbünden sie sich zur Not auch mit autoritären Regimen und Diktatoren: arabischer Frühling, gut fürs Image, aber wenig Geschäft.
Indem sich Facebook darüberhinaus zum Konkurrenten der klassischen Medien aufschwingt, diese sogar nich benutzt, um seine Reichweite und seinen Einfluss zu erhöhen, wird demokratische Kontrolle weiter ausgehöhlt. Medien, die angeblich die Mächtigen kontrollieren sollen, gehen zugrunde, weil die Leser abhanden kommen, und ausgerechnet das „System Facebook“ soll sie retten. Aus Sicht der Aktionäre ein perfekter, aus Sicht von demokratischen Gesellschaften ein perfider Schachzug von Facebook.
Kein Interesse an Demokratie
Wer diese, seine Macht und seinen Einfluss auf Gesellschaften so sträflich ignoriert, darf sich nicht wundern, wenn er eines Tages zum Handlanger von autoritären Systemen wird. Leider ist für viele Menschen Facebook nur ein Spaß, ein Like hier, ein Kommentar dort, die eigene Meinung wird bestätigt und beeinflusst, während man lustige Bildchen und Filme ansieht und belangloses mit Freunden austauscht – ist doch nicht so gefährlich, wird doch übertrieben. Das glaube ich nicht, genau das ist die Methode, dass man uns Glauben machen will, dass doch alles ungefährlich ist – aber Algorithmen, das wichtigste der Branche, bleiben geheim, genauso wie angebliche (moralische) Standards.
Götterdämmerung wegen zuviel
Die einzige Hoffnung ist, dass Facebook sich verkalkuliert – dass zu viele Angebote in einer Plattform zu viel sind. Ich kann nicht als Medium Zeitung und Fernsehen ersetzen, privates Netzwerk sein, Werbung ausspielen, Chatten usw. Die Timeline ist für mich ziemlich unbedeutend geworden: wichtiger sind für persönliche Netzwerke Whatsapp oder noch besser, Threema; für längere und kürzere Texte mein Blog; für Bilder sollte es flickr sein oder mein Blog, nicht Instagram. Nun will Facebook auch noch ein Job-Portal werden. Der Allmachtsanspruch wird vielleicht zum Anfang vom Ende oder, wenn schon nicht Götterdämmerung, zumindest zur Rückbesinnung auf das soziale Netzwerk von Einst. Wenn Facebook nicht selbst drauf kommt, könnten wir ein Problem bekommen.
Staaten müssen aktiv werden
Wenn wir nicht aufpassen, bekommen wir Weltherrscher, gegen die Nutzer und Regierungen und Polizei und Justiz machtlos sind. Werkzeuge, die für Demokratien gefährlich sind, deshalb ist es Zeit, diesem unkontrollierten Treiben Einhalt zu gebieten. Ich werde mein Facebook-Profil „säubern“, auch wenn ich es beruflich benötige, wird Facebook bei mir weiter herabgestuft und noch mehr als bisher, werde ich meinen Blog nutzen, um meine Meinung zu veröffentlichen.
Tja, das ist die Kehrseite der Internet Socienty: jeder kann beliebig steile Thesen in den Raum werfen und findet mit ein wenig googlen sicher auch irgend einen Professor, der ihn stützt. Echokammer? Never…..
Trump und die Wahlen hat mit gezielten Hacks durch Russland zu tun, und nicht mit Facebook. Denn wenn es so simpel wäre, würden wir alle längst nur noch BMW oder Mercedes kaufen und eh nur nboch Kellog’s futtern. Es geht ein bischen anders, und jeder bessere James Bond lehrt uns, dass es wenigstens Laserwaffen braucht, um die „Weltherrschaft“ zu erringen. Und natürlich böse Bond Girls mit tiefen Ausschnitten – real life also, und nicht Trallala Blogs und anderen social media Mist. Werbung unterhalb der Wahrnehmungsschwelle funkioniert übrigens auch nicht, auch wenn mit dieser Idee in den späten 60ern wild Progaganda gemacht wurde….. Nein, so simpel ist der Mensch zum Glück nicht, aber der Text ist schön populistisch, Weltverschwörung at its best. Applaus.
Dennoch: einfach ein schlechter Beitrag, vielleicht Sascha Lobo ganz am Anfang seiner Karriere, allenfalls.
George O.
Ich gebe zu, dass der Text etwas mit heißer Nadel gestrickt war. Vom Grundtenor bleibe ich aber dabei, dass das „System Facebook“, so wie es momentan funktioniert und die Menschheit „durchdringt“, gefährlich ist. Und zwar nicht aus Gründen einer „Weltverschwörung“, sondern eher aus systemimmanenten Gründen der großen Silicon-Valley-Konzerne: es geht ganz banal um Geld, Einfluss und Macht; also nix „Verschwörung“. Ich glaube auch nicht, dass Russland die US-Wahlen grundsätzlich beeinflusst hat; und auch nicht, dass Laserwaffen die Weltherrschaft – vom wem eigentlich – sichern. Für mich ist tatsächlich das Schöne, dass ich im Internet frei publizieren kann, auch mal eine „steile These“. Umgekehrt scheint es anderen zu gefallen, dies anonym zu kritisieren – finde ich nicht gut, gehört aber auch zum Internet. Und vielleicht gehe ich jetzt zum Friseur und lasse mir meine Haare schon mal rot färben; der Iro kommt dann nach der nächsten steilen These 😉
Man könnte das jetzt natürlich noch weiter kritisieren, wenngleich die Einlassung „heisse Nadel“ den anonymen Kommentator schon im Ansatz befriedet. Denn natúrlich ist es nicht der böse, mammongetriebene US Konzern, sondern es sind die Zeitungsverlage, die ihren content bereitwillig auf facebook ausspielen. Und warum? Weil sie wissen, dass es inzwischen eine ganze Generation an Internetnutzern gibt, welche das Submedium facebook kaum mehr verlässt, für die ist facebook gleich Internet. Insofern also vielleicht sogar ein intellektueller Segen, dass facebook als Plattformbetreiber solchen content wünscht, wenn auch zu für Verlage grauenhaften Konditionen. Publizieren heisst, Verantwortung zu übernehmen fúr Aussage und Wirkung, auch VOR der Umsetzung des Irokesenschnitts. Ich bleibe dabei: das hier ist purer Populismus, die böse Krake facebook und die mammongetriebenen USA …. Das lesen manche gern, aber es hat so viel mit Medienverhalten 2016 zu tun wie Sascha Lobo mit ernst zu nehmender Netzpolitik.
Erstens: Facebook hat keinen Content, den es ausspielen kann, darum hofiert es die Zeitungsverlage, um sie gleich anschließend mit einem neuen Timelime-Algorithmus kräftig zur Kasse zu bitten. Das ist der Spagat, den Facebook langfristig nicht überleben wird: Die Gratwanderung, ab wie viel bezahltem Content die Nutzer sich abwenden und wie viel privaten Content sie mindestens sehen wollen, spitzt sich auf eine Bildschirmseite zu. Das ist zu wenig Platz (und die werberelevante Zielgruppe hat für Scrollen zu wenig Zeit); wenn dann noch bezahlte Werbung hinzukommt, vergraulen sie den Nutzer endgültig. Er flüchtet in die private Kommunikation, z.B. über Gruppen oder anderes.
Zweitens: Facebook ist mittlerweile nicht mehr *die* Plattform der jüngeren Generation (wenn auch Plattformen des Facebook Konzerns dominieren): geschlossene Gruppen und 1:1-Kommunikation in Whatsapp, Instagram mit Stories und Snapchat usw. Neue Plattformen entstehen und alte bleiben, aber die Social-Media-Landschaft wird immer heterogener. Die Glofizierung von Facebook, wie übrigens auch Snapchat oder YouTube, bleibt ein Problem der Kommunikations- und Medienbranche.
Drittens: Vielleicht mag es populistisch klingen, aber ich denke schon, dass wir Facebook und allen Internet-Konzernen klar machen müssen, dass in Deutschland und in der EU, deutsches und europäisches Recht gelten. Einfach hinzunehmen und zu sagen, „ist halt das Internet und schade, dass wir nicht mehr tun können“, ist ein bisserl wenig. Also Aufrütteln mit etwas Populismus unterhalb der BILD-Schwelle muss und soll auch erlaubt sein. Im Übrigen ist“‚Verantwortung‘ im Journalismus“ auch so ein Begriff, der gerne von Verlegern und Chefredakteuren in Sonntagsreden strapaziert wird und für die Montagsausgaben von journalistischen Hilfskräften anders gelebt werden muss.
Viertens, letztens und abschließend: Danke für die Kommentare.