Ich glaube unsere Blase wird immer größer und dünner und irgendwann – ich sag mal in drei bis fünf, spätestens zehn Jahren wird sie platzen. Für uns, die wir uns in der Filter Bubble bewegen, scheint das eine lange Zeit zu sein. Aber auch ich mache die Erfahrung, wie sie Meike Leopold in ihrem Blog beschrieben hat: Menschen, die mit dem Internet direkt nichts zu tun haben, begreifen die alles verändernde Kraft des Web noch nicht (disruptiv, sagt man dazu in der neuen Zeit gerne).
Und die Betonung liegt auf „alles“. Es wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Ich verwende dazu gerne das Wort „Pulverisieren“. Es beschreibt, wie mit einem vermeintlich festen, dauerhaften Stoff etwas passiert, dass ihn zu feinem Staub macht, der vom Winde in alle Richtungen verteilt und vergessen wird. Man frage doch mal einen Jugendlichen, ob er schon mal was von „Quelle“ gehört hat. Und ich meine das einstige deutsche Vorzeigeversandhaus aus dem Vor-Amazon-Zeitalter. (Gut 20 Millionen Euro kostete übrigens der Druck des letzten Katalogs von Quelle. Nicht erschrecken: der Name Quelle wird seit Mai 2013 von einem Online-Marktplatz der Otto Group genutzt.)
YouTube, Twitter und Amazon gegen die Platzhirsche
Die Chefredakteure der Süddeutschen Zeitung weigern sich (noch), den Online-Chefredakteur als ihresgleichen zu akzeptieren. Gehts noch gestriger? Man fragt sich, ob die Chefredakteurs-Etage der SZ auch nur einmal einer engagierten Diskussion über die Zukunft des Journalismus beigewohnt hat. Ohne Online geht nichts mehr und Online wird immer wichtiger werden, die edle und teure Druckausgabe wird dann ein markenstärkendes Zusatzprodukt sein, mehr nicht. Der Newsflow kommt via Twitter und von der SZ erwarte ich, Navigation, Einordnung, Recherche und gute Stories. Zu dem Thema hat meine Kollegin Su Steiger sich übrigens in ihrem Blog auch schön aufgeregt.
Und angeblich gibt es YouTube-Stars, die ich bisher gar nicht kenne, die aber dem etablierten und vorgetakteten Fernsehen massenweise die Zuschauer wegnehmen. Diese werden dort immer unterschichtiger und älter – also eine Zielgruppe, die die Werbewirtschaft schon gar nicht haben will. Hier die YouTube-Stars von Y-Titty mit ihrem passenden Lied #Hashtag:
Ich empfehle im Übrigen zu Diskussion um die Zukunft der Medien und des Journalismus, das „Jahrbuch für Journalisten“ aus dem Oberauer Verlag. Hier werden viele der klugen Reden und nachhaltigen Veröffentlichungen des letzten Jahres noch einmal gesammelt (und gedruckt) angeboten.
Angeblich zittern alle Lebensmitteleinzelhändler schon vor „Amazon Fresh“, dem Lebensmittel-Lieferdienst von Amazon. Nachdem Amazon erst das Geschäft mit Büchern und CDs übernommen hat, dann Unterhaltungselektronik, Mode, digitaler Musik usw., also zu einem Online-Kaufhaus geworden ist, folgt jetzt die Lebensmittel-Abteilung. Wenn ich meine persönliche Packstation mit Frischefach vor der Türe habe, warum soll ich dann noch zu Edeka, Rewe, Lidl & Co. einkaufen gehen? Sich die Ware nach Hause liefern lassen zu können ist für 38 Prozent aller Befragten einer Studie der wesentliche Grund online zu bestellen (Uni Köln und St. Gallen mit A.T. Kearney Unternehmensberatung).
Heißes Battle hier in SF zwischen Amazon fresh & Google shopping express … pic.twitter.com/m08MGtq4BS
— Daniel Kroeger (@eFlation) 21. März 2014
Apropos Amazon: die werden ja jetzt auch Verleger und eine Zeitung hat sich der Chef des Ladens ja schon gekauft. Und Bücher, tja, Amazon Kindle oder zumindest die Kindle App reichen aus. Was sich digitalisieren lässt, wird über kurz oder lang digitalisiert werden. Mittel- bis Langfristig wird die Stadtteilbuchhandlung einfach nicht überleben (wenn sie wirklich nur Buchhandlung bleibt). Und ja, auch weitere Einzelhandelsgeschäfte und ganze Ketten werden einfach zusperren, wenn die Interessenten, die zum Gucken und Anfassen (sprich: Informieren kommen) nicht Kunden werden, weil sie einfach online gehen (vielleicht schon mit Smartphone direkt im Laden) und im Internet einkaufen (und auch, wenn es nur deshalb ist, weil es ein paar Cent weniger kostet. Das nächste Mal darf es dann sogar teurer sein, aber Internet ist halt einfacher.)
Bei der Präsentation in meinem neuen Fitness-Studio hieß es: Jedes Fahrrad mit Internet, „wegen der Cloud und so“. Mehr muss der sportliche junge Trainer nicht wissen. Es kann ihm auch egal sein, ob ich meine Musik über spotify abrufen will oder Geschäfts-Mails während des Strampelns lesen will oder bei Amazon stöbern will oder gar meine Raumtemperatur zu Hause regeln will – richtig, das muss nicht sein, aber es geht und deshalb wird es gemacht. Und mache ich es nicht am Fitness-Fahrrad, so mache ich es eben am Smartphone – der mobile Internet-Zugang und die mobile Erreichbarkeit ist auch so eine disruptive Kraft mit der keiner in der Geschwindigkeit gerechnet hat.
Wer Einwände bringt nach dem Motto: bleibt ihr mal in eurer Blase; Auto, Radio, Strom und Telefon haben ja auch nicht von dem einen auf den anderen Tag alles über den Haufen geworfen, der irrt sich, gewaltig sogar, meine ich. Denn die Marktdurchdringung, also der Zeitraum von der Erfindung bis zum Massenbesitz, ging noch nie so schnell wie bei Internet und Smartphone. Während es beim Auto fast 100 Jahre dauerte, waren es beim Fernseher nur 20, beim Internet dagegen nicht einmal 10 Jahre.
Es betrifft immer mehr immer schneller
Und zu mir in die Blase kommen meine Freunde mittlerweile auch gerne: die Diplom-Ingenieure von Weltkonzernen, die sich auf einmal mit internen Corporate Social Networks konfrontiert sehen und keine Erfahrung haben, wie sie damit umgehen sollen. Und auch die Archivare, die immer auf ihre gedruckte wissenschaftliche Reputation Wert legten, und nun auf einmal ihre Zusammenfassungen in Blogs bereitstellen sollen und, ist denn das möglich, auch noch Kommentare darauf erhalten.
Und gleichzeitig hat man das Gefühl, dass etablierte Strukturen, wie Politik und Konzerne (auch Medienkonzerne, siehe Süddeutscher Verlag, bis auf Axel Springer Verlag vielleicht), immer noch glauben, das Internet sei einfach eine neue Branche oder ein neuer Kanal, um den man sich kümmern kann, wie immer. Nur, und das hat Axel Springer früh erkannt und vielleicht noch rechtzeitig gehandelt, es ändern sich auch die Arbeitswelten, Erlösstrukturen und Produktionsbedingungen radikal. Ein Start-Up im Bereich Big Data benötigt heute im Wesentlichen neben Fachwissen, eine gute Idee und ein Internet-Zugangsgerät – alles andere findet in der Cloud statt; teure Betriebsmittel vorfinanzieren, Fehlanzeige.
Die Bundesregierung teilt derweil die Internet-Zuständigkeiten auf drei Minister auf; vielleicht wäre es besser gewesen, alle Minister würden dafür Verantwortung übernehmen, um zu zeigen, dass nicht nur jedes Ministerium, sondern auch jeder Bürger betroffen ist – mancher schneller, als im Lieb sein wird.
UPDATE: Eine schöne Ergänzung zum letzten Absatz liefert heute früh netzpolitik.org. Bei der Nachfrage in den Bundesministerien, wer denn nun für die Digitale Agenda der Bundesregierung, die auf der CeBIT vorgestellt wurde, zuständig sei, ergibt sich, nun ja, nicht mal ein unheitliches, sondern eigentlich gar kein Bild.
Ich habe verzweifelt nach deinen Teil-Knöpfen gesucht 😉 lg
Ich suche jetzt mal danach, wo die Teilen-Knöpfe abgeblieben sind, danke für den Hinweis. Unda danke auch für den Tweet.
Sehr treffendes Posting Markus!
Passend dazu empfehle ich das Buch ‚New Business Order‘ in dem die oben beschriebenen Vorgänge sehr treffend mit Beispielen untermauert werden.
Und passend dazu aus der Politik, das Vorhaben der Rundfunkkommission der Länder zu Altersangaben im Web. Auch ein Versuch in der Art “ um den man sich kümmern kann, wie immer.“ – wird auch hier nicht funktionieren!
Danke, freut mich, wenns lesbar ist 😉 Ich hatte tatsächlich heute früh überlegt, ob ich den Beitrag aktualisiere mit deinem Rant zu den angeblichen Jugendschützern und der Schließung des Buchkaufhauses Hugendubel am Marienplatz in München. Zur weiteren Beweisführung sozusagen.
Mich erstaunt es immer, mit welcher Naivität die Leute Bücher bei Amazon bestellen und sich hinterher wundern, wenn „ihr“ Buchladen zumacht. Und dann auch noch übersehen, dass es nicht nur die Buchhandelsbranche ist, die es betrifft, sondern, dass die meisten (wenn nicht gar alle) Branchen in der ein oder anderen Form von der Digitalisierung und Vernetzung betroffen sind.
Die Umwälzung trifft am Ende wirklich alle Branchen und das immer schneller.
Aber solange ein Bereich nicht betroffen scheint, wird der Umbruch durch die Digitalisierung dort ignoriert und lächerlich gemacht, dann bekämpft und am Ende kapituliert die nächste Branche – Beispiele gibt es inzwischen ja genügend, sollte man meinen.
Was aber noch schwerer wiegt ist m. E. der gesellschaftliche Umbruch in dem wir alle stecken. Die Menschen haben sich bzw. sind dabei ihr Leben neu zu orientieren. Viele wollen inzwischen nicht mehr wie so funktionieren wie es die Wirtschaft erwartet/kennt. Beispiel: TV/YouTube on demand überall wo ich möchte und nicht feste Sendetermine und Kanalbindung, Musik als Stream oder MP3 und nicht dann wenn ein Sender den Hit abspielt und so weiter …
Die Folgen aus diesem sich verändernden Verhalten sind meiner Meinung nach noch nicht absehbar. Wir leben in einer spannenden Zeit!
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